Vorurteil

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Vorurteil

An anderer Stelle ( siehe „Gesichertes Wissen" ) habe ich schon zu diesem Thema geschrieben, halte es aber für wichtig genug, um noch einmal darauf einzugehen. Denn unsere Vorurteile bestimmen unser Verhalten, und wenn wir uns ihrer nicht mehr bewusst sind, resultiert daraus manchmal sogar sehr schweres Fehlverhalten.
Wie ich das meine ?

Ein stark vereinfachtes Beispiel:
Du triffst einen Farbigen, der sehr stark nach Schweiß riecht.
Schublade im Kopf für Farbige geht auf, als Info hinein: Alle Farbigen stinken.
Später triffst Du einen anderen Farbigen, der stinkt nicht.
Schublade: Nicht alle Farbigen stinken.
Aber:
Du triffst einen Weißen, der stark nach Schweiß riecht.
Schublade: Herr X stinkt. Nicht: Alle Weißen stinken, denn Du bist ja selber weiß und stinkst nicht, und Du kennst so viele Weiße, die nicht stinken, also ist es nur der Eine.
Später triffst Du Herrn X wieder – er stinkt nicht.
Schublade: Herr X stinkt nur manchmal.

Und so wird Dein Verhalten dadurch beeinflusst:
Du meidest die Nähe zu Farbigen, weil sie ja stinken könnten, die von Weißen nicht, weil die meist nicht stinken. Daß das Nicht-Stinken unabhängig von der Hautfarbe ist machst Du Dir nicht klar, weil Du zu wenige Farbige kennst. Wohlmöglich gibst Du Deine Erfahrung sogar weiter und erzählst Anderen, dass alle Farbigen stinken. Und Du glaubst das wirklich !...

Ein anderes Beispiel:
Vor Kurzem lief im TV von Wallraff der Film zu seinem Buch „Schwarz auf Weiß", wo er als Schwarzer geschminkt durch Deutschland reist und beeindruckend schlechte Erfahrungen allein auf Grund seiner vermeintlichen Hautfarbe macht.
In der Talkrunde NACH dem Film fragt ihn der Moderator, ob er nicht ein weniger auffälliges Hemd hätte tragen können, weil das doch mit provoziere.
Ein Vorurteil dieser Art geht in dieselbe Richtung wie dieses: Wenn Frauen mit Minirock vergewaltigt werden, tragen sie eine Mitschuld, weil sie provozieren ! Hallo !?! Geht´s noch !?!

Und wie leicht eine Handvoll Vorurteile – geschickt unter das „Volk" gebracht – die Menschen ganzer Staaten beeinflussen können, zeigt unsere jüngste Vergangenheit. Vor nur ca. 70 Jahren wurden alle „Nichtarier" verfolgt und zu Millionen ermordet.
Ganz schlimm wird es, wenn auch noch Religion ins Spiel kommt, wenn Andersgläubige mit der Waffe in der Hand vom eigenen einzig wahren Gott überzeugt werden sollen, was ja durch die Jahrhunderte und unter verschiedenen Religionen immer wieder passierte.

So sehr verblenden kann Dich ein Vorurteil, dass Du bereit bist, Gewalt gegen Menschen auszuüben, von denen Du überhaupt nichts weißt.
Und dazu gehört auch das Herabsehen auf Menschen nur, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Auch das ist eine Form von Gewalt.

Noch einmal:

Das Schubladendenken halte ich für legitim als Hilfsmittel, um erste Eindrücke zu sortieren, um bei der Vielzahl von Ereignissen, mit denen wir zu tun haben, nicht die Übersicht zu verlieren.
ABER:
Wir wollen die Schublade niemals ganz schließen !
Wir wollen uns immer bewusst sein, dass unsere Schubladen Eindrücke sammeln, und immer wieder neue, so dass es Unsinn wäre, sie ganz zu verschließen.

Wann immer Du eine Wertung äußerst, über eine Sache, einen Menschen, ein Volk sei Dir bewusst, dass Deine Wertung aus Deiner unvollständigen Schublade kommt und deshalb fehlerhaft sein kann. Und die Wahrscheinlichkeit, dass Deine Wertung falsch ist steigt umso mehr, je weniger Du Dich vorher mit dem Bewerteten auseinander gesetzt hast.
Nehmen wir noch einmal den Beispielssatz „Alle Schwarzen stinken" :
Wie viele Schwarze kennst Du ? Zwei ? Zehn ? Fünfzig ? Bestimmt nicht Millionen.
Was also ist Deine Aussage dann wert ?
Denke erst an Deine Schubladen, bevor Du dich äußerst, und sollte Dir trotzdem mal so ein Blödsinn entschlüpfen, entschuldige Dich sofort.

Wenn ich ein wenig über diese Zusammenhänge nachdenke wird mir klar, dass ein Großteil meines Weltbildes und damit ein Großteil meiner Meinungen sich aus Vorurteilen – also Urteilen an die ich glaube, zu denen ich aber weniger aus eigener Erfahrung gekommen bin, sondern die ich übernommen habe – zusammensetzt, Urteilen von Anderen, die ich übernommen habe von Eltern, Lehrern, Freunden, aus Büchern usw.

Weil ich aber ständig einschätze, beurteile und sortiere, was ich erlebe, um mich in meiner Umwelt zurecht zu finden, diese Automatik in meinem Kopf nicht abstellen kann, will ich sie auch nutzen, aber mit Bedacht:
Ich will niemals vergessen, dass
- es keine absolut und endgültig richtige Wertung gibt, nicht von mir und nicht von Anderen,
- meine Wertungen nie frei von Vorurteilen sein werden,
- ich meine Schubladeninhalte änderbar lassen will und
- ich keine meiner wertenden Aussagen absolut treffe.

Denn ich werde mich irren, immer wieder, kann also auch bei größtem Bemühen Fehler nicht ausschließen. Das Wissen der Menschen erweitert sich täglich weshalb mir klar ist, dass schon deshalb meine heutige Wertung morgen völlig falsch sein kann.
Wenn ich mir über die Relativität meiner Anschauungen in Bezug auf Wahrheit ständig klar bin, habe ich schon eine ganze Menge gelernt.
Ich werde deshalb nicht frei sein von Vorurteilen, mir aber ihrer bewusst !
Und das ist ein wichtiger Schritt !

Versuchen wir, ihn zu gehen !

PS: Sehr lesenswert zu diesem Thema : Peter Ustinov, "Achtung ! Vorurteile", ISBN 978-3-499-33221-0

Wunderbar dazu passt auch die folgende kleine Geschichte, die in verschiedenen Versionen immer wieder ( und das ist gut so !) durch das Netz geschickt wird:

Eine weiße Frau mittleren Alters setzt sich auf ihren Platz im Flugzeug. Neben ihr ein Schwarzer. Entsetzt ruft sie die Stewardess. Stewardess: "Was haben Sie für ein Anliegen, gnädige Frau?" Die Frau: "Sehen sie es denn nicht? Sie haben mich neben einen Schwarzen platziert. Ich halte es neben einem solchen Menschen nicht aus. Geben sie mir bitte einen anderen Sitzplatz!"
Die Stewardess versichert, sie werde nachschauen, ob noch ein Platz frei sei. Einige Minuten später kommt sie wieder: "Gnädige Frau, leider ist in der Economyklasse kein Platz mehr frei. Jedoch haben wir noch einen Platz in der 1. Klasse." Erleichtert atmet die Frau auf. Die Stewardess weiter: "Eigentlich können wir Passagiere nicht einfach umbuchen, aber unter diesen Umständen werden wir eine Ausnahme machen. Wir möchten niemandem zumuten, neben einer solchen Person zu sitzen."
Die Stewardess wendet sich dem Schwarzen zu und fährt fort: "Sie können also, wenn sie dies wollen, ihr Handgepäck nehmen, denn ein Sitz in der 1. Klasse erwartet sie."
Alle Passagiere rundherum, welche bei diesem Schauspiel dabei waren, standen auf und applaudierten...